Schwarzes Brett – Alles over Duits in Utrecht

Geplant & angekündigt

Lesung Radek Knapp am 11. Mai

Radek Knapp liest bei uns aus dem schelmischen Roman Der Gipfeldieb (2015). Knapp (* 1964) kam als Zwölfjähriger aus Polen nach Wien, wo er seitdem lebt. Er gilt als „sprachlich brillanten Erzähler, der Außenseiterpositionen einnimmt, die Alltagswelt in ihrer Scheinhaftigkeit entlarvt und sich in Fantasiegeschichten eigene Welten aufbaut“ (Killy Literaturlexikon). Für die grotesken Erzählungen in Franio (1994) erhielt er den Aspekte-Literaturpreis. Der erfolgreiche Roman Herrn Kukas Empfehlungen (1999) wurde 2008 verfilmt. Es folgten u.a. Papiertiger – Eine Geschichte in fünf Episoden (2003), Reise nach Kalino (2012) und der ironische Reiseführer Gebrauchsanweisung für Polen (2015).
Eintritt frei, alle Studierende sind herzlich eingeladen!

11. Mai 2016
11.00 – 12.45 Uhr
Drift 23, 1.03

Leseprobe:
„Niemals hätte ich mich in diesem Sommer als zufriedenen Menschen bezeichnet. Das roch nach Spießigkeit, Anpassung und noch etwas, worüber ich lieber nicht nachdachte. Aber als ich die berühmte Pro-und-Contra-Liste durchging, sah es irgendwie danach aus. Ich mietete zum ersten Mal in meinem Leben eine kleine Wohnung, aus deren Fenstern man keine Autobahn, sondern einen Kinderspielplatz sah, auf dem ein riesiger Marienkäfer aus Holz thronte und wohltuende Zuversicht ausstrahlte. Meine Nachbarn spielten keine klassischen Instrumente, was in Wien einem Lotto­gewinn gleichkam, und sogar privat hatten sich einige Turbulenzen gelegt, sodass ich in den ruhigen Hafen des Alleinseins eingelaufen war. Aber der wichtigste Pluspunkt war der neue Job, den ich kürzlich gefunden hatte. In der letzten Zeit war es diesbezüglich nicht besonders gut gelaufen. Allein im letzten Jahr hatte ich ein paarmal ordentlich danebengegriffen. Ich war zuerst Saunaaufgießer, dann Tierpfleger des Pavian­geheges im Schönbrunner Zoo gewesen, und zuletzt hatte ich als Weihnachtsengel Marzipanbonbons in Form einer goldenen Trompete auf der Straße verteilt. Das Heizungsablesen gab anfangs auch nicht viel her. Meine Aufgabe bestand darin, mit einer kleinen silbernen Zange bewaffnet durch Wohnungen Wiens zu laufen und den Wärmeverbrauch zu überprüfen, der über den Winter angefallen war. Noch dazu waren es ­keine Villen oder schicke Zinshäuser, durch die ich in meiner blauen Uniform zu laufen hatte, sondern schlichte Gemeindewohnungen, die man auf der Landkarte erst suchen musste. Die Plüschstadt, wie wir Ableser Wien nannten, war wie ein Rosinenkuchen aufgebaut. In der Mitte lag das wohlschmeckende und wohlriechende Zentrum, das sich Reiche und Touristen untereinander aufteilten. Dann kam jene diffuse Schicht aus Studentenlokalen, Wohngemeinschaften und schlüpfrigen Etablissements. Und ganz außen lag der vertrocknete Teigrand aus Tausenden Gemeindehäusern, in denen sich die Arbeiterschaft Tag für Tag schlafen legte. Dort warteten Millionen von Heizungen, die abgelesen und neu verplombt werden muss.“